Sonntag, 11. November 2012

Kälte

Graue Nebelschleier durchziehen meine Gedanken, Wolkenmassen ergießen Regenströme auf die Erde. Sonntag. Auch wenn mir mein Zeitgefühl schon lange abhanden gekommen ist, auf den Kalender ist verlass. Sonntage sind meistens irgendwie leere, unausgefüllte Tage, die schleichend vergehen, doch dieser Tag heute wollte gar nicht vergehen. Stunde um Stunde um Stunde. Warten. Doch worauf? Das weis ich nicht. Regen, der an mein Fenster trommelt. Mein Zimmer, so kalt und leer. Ich, einsam und allein. Das Spiegelbild, das ich heute rein gar nicht ertragen kann. Als würden tausend ungesagte Worte auf meinen Lippen liegen, die unbedingt frei gelassen werden worden, doch ich halte sie fest. Spreche sie nicht aus. Ich bleibe still. 
Die innere Unruhe lässt mich kaum still sitzen, die Gedanken in meinem Kopf sind ständig in Bewegung. Nach einer unruhigen Nacht, voller wirrer Träume, aus denen ich panisch erwache, ist auch der Tag nicht besser. Der wenige Schlaf in der Nacht bringt mir keine Erholung. Müde und zugleich viel zu unruhig. 
Das Gespräch mit meiner Mutter. "Gespräch". Jedes "Gespräch" endet im Streit. Ich weis nicht mehr, worum es genau ging. Aber sie hat gesagt, dass sie nächste Woche im Krankenhaus ist. Hat es nur so als Randbemerkung hinzugefügt. Dieses Mal keine Vorwürfe, keine Schuldzuweisung. Aber dann, die Worte: "Aber das ist dir doch sowieso egal." Betont nebenbei lässt sie diese Bemerkung noch fallen, all die Vorwürfe indirekt darin mitschwingend, schmeisst mir die Worte wie ein dreckiges Paket vor die Füße und wartet darauf, dass ich es aufhebe. Doch den gefallen tu ich ihr nicht. Ich tu so, als hätte sie gar nichts gesagt. Ignoriere ihre Worte. Gehe. 
Ich weis nicht, was ich hätte sagen sollen, weis nicht was ich hätte fühlen sollen. Und die Wahrheit ist: Ich fühle gar nichts. Nur all die Vorwürfe, all die schlimmen Dinge, die sie mir sonst immer an den Kopf geworfen hat. Du bist schuld, dass ich so krank bin. Du hast keinerlei Menschlichkeit in dir. 
Ich weis nicht, was ich denken soll. Will gar nichts denken. Würde am liebsten all die Gedanken in mir ausschalten. Will endlich mal Ruhe in meinem Kopf. Warum fühle ich nichts, warum fühle ich rein gar nichts? Bin ich wirklich so ein schlechter Mensch?
Ich bewege mich wie ein Geist durch dieses Haus, das kein Zuhause ist. Ein flüchtiger Blick in den Spiegel, Augen nichtssagend und leer. Und noch immer dieser unruhige Blick. Erneut bringt mich diese Unruhe dazu, hinaus in die Dunkelheit und Kälte zu gehen. Und im strömenden Regen ziellos mit dem Fahrrad durch die verlassenen Straßen zu fahren, als könnte ich vor irgendwas davonfahren, als könnte ich vor mir selbst davon  rennen. Meine Kleidung durchnässt. Eisige Kälte die in meinen Körper, meine Knochen kriecht. Atem, der in kleiner, weißer Wolke vor meinem Gesicht tanzt.
Ich fühle nichts, nur Kälte.

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