Sonntag, 19. August 2012

Besuch von Verwandten

Verwandte waren gestern zu Besuch, meine Tante und meine Oma. Grillen im Garten, Spazierengehen am Fluss, der Hund meiner Tante der einen lautstark anbellt, sobald man nur eine Bewegung macht, stundenlang dasitzen und sinnlosen Gesprächen zuhören müssen...solche Besuche sind anstrengend. Gestern war es zwar sehr warm, aber mir war trotzdem meistens kalt, im Schatten unter den Bäumen und leichtem Wind. Noch immer fiebrig saß ich zwischen den anderen und wollte einfach nur gehen und mich ausruhen. Und die dummen Kommentare meiner Mutter von Zeit zu Zeit haben den Tag garantiert nicht besser gemacht..

Erst am Abend fand ich es besser. Als es dunkel wurde und ich von der Terrasse aus auf die Wiese und die Bäume gestarrt habe, irgendwie mit den Gedanken ganz wo anders, ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass die Bäume nachts aussehen wie Geisterbäume. Weil am Stamm und an den Ästen die Rinde teilweise weis ist, und das auch im Dunkeln noch zu sehen ist, wenn die Äste im Sommerwind schaukeln. Sonst sieht man nichts, hört nur die Blätter im Wind rascheln und sieht den Sternenteppich am wolkenlosen Himmel. 

In der Nacht hatte ich seltsame Träume, wirr und so unruhig, dass ich bestimmt zehn mal wieder aufgewacht bin. Jedes Mal verwirrt und panisch in meinem Bett saß, zitternd wach unter der Decke lag, und dann irgendwann wieder eingeschlafen bin. Irgendwann war es hell und es war Tag. Also aufstehen. Im Bad schaut mir aus dem Spiegel ein Geist entgegen, dunkle Augenringe und abwesender leerer Blick. Seltsame Blicke, die die anderen mir zuwerfen.

Es war bei weitem nicht so schlimm, wie befürchtet.. wie es schon war. Wenn ich da an die letzten Weihnachten denke..nein lieber nicht daran denken. 
Es ist zwar nicht echt, es ist nur ein so-tun-als-wären-wir-eine-Familie. Das ertrage ich nur sehr schwer, dieses so tun als ob alles in Ordnung wäre. Denn das ist es nicht. Gar nichts ist in Ordnung. Wir sind nur Schauspieler, die ein Theaterstück spielen. So fühle ich mich in diesen Momenten immer. Als würde meine Mutter die Kulissen malen, jedem und vor allem sich selbst ein übertriebenes Lächeln ins Gesicht malen, und Textbücher verteilen, an die ich mich sowieso nie halte. Ich bleibe lieber still. Ich kann und will ihre Fassade einer heilen Welt nicht erfüllen. Aber wenn ich Dinge sage, die ihr nicht passen, endet das böse für mich. Also bleibe ich einfach still, und höre nicht den Gesprächen zu sondern den Gedanken in meinem Kopf. Während die Worte der anderen wie Wellen im Meer sind, mal lauter mal leiser, ich höre sie, aber sie gehen durch mich hindurch, das belanglose Gerede prallt an mir ab, glänzt wie Wassertropfen im Licht.

Aber meine Oma und meine Tante hat dieser Tag gestern glücklich gemacht. Ich kann nicht wirklich verstehen wieso, aber ich habe es gesehen und gespürt. Meine Tante hatte einen Gesichtsausdruck wie ein kleines Kind, das Geschenke aufpackt, als sie beim Grillen ihr Zeug gegessen (bzw in sich reingestopft) hat.. Meine Oma hat mich viel zu fest gedrückt, als sie vorhin wieder nach Hause gefahren sind, und gesagt wie sehr sie sich gefreut hat mich gesehen zu haben...
Allein den beiden zu liebe hat sich der Tag trotzdem gelohnt. Es macht sie glücklich. Und auch wenn ich nicht wirklich so ganz verstehen kann, wie das möglich sein soll, so macht es mich dennoch froh. Aber es beunruhigt mich auch, denn ich weis, dass das alles nicht so ist, dass es nicht echt ist, dass gestern eine Harmonie vorgespielt wurde, die es in dieser Familie nicht gibt. Unter der Oberfläche brodelt es wie in einem Vulkan, heißer Hass am überkochen, Streit und eine ganze Welt, die kaputt ist und dabei in immer und immer mehr Teile zu zerfallen.

Aber alle Menschen sind Lügner, belügen andere oder belügen sich selbst. Wenn ich genauer darüber nachdenke wirkt das irgendwie wie ein Schattenkabinett. Tausend Spiegel, in denen sich halbkaputte Masken mit aufgemaltem Lächeln in der Dunkelheit spiegeln.

Vorhin, als ich nach unten kam um mir eine Tasse Tee zu machen, nachdem die anderen gefahren sind, war alles wieder wie immer. Ich wurde ignoriert, war ein unsichtbarer Schatten, meine Mutter hat nur einen bösen Blick für mich übrig. Aber die Gelegenheit für deinen Streit liefere ich gar nicht erst, ich verschwinde so schnell wie möglich aus der Küche, in mein Zimmer. Ich bin das, was ich immer schon war: Eine Fremde im eigenen Zuhause.


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